Das Leben auf einer Insel in der karibischen See hingegen klingt wie das Paradies. Verlockend wie die Bacardireklame. Stets scheint die Sonne, man lümmelt den ganzen Tag am Strand herum, das Meer ist nicht weit und Sorgen hat man keine.
Nun, ganz so ist es nicht.
Das Klima ist, zumindest in den Wintermonaten, zweifelsohne dem des nordeuropäischen vorzuziehen. Der Strand und das Meer sind ebenfalls immer in erreichbarer Nähe. Allerdings sieht man selten Menschen dort, und das hat auch einen Grund. Sandfliegen. Kleine, fast unsichtbare Insekten, die Amerikaner nennen sie auch "noseeums", die gern stechen und juckende Pusteln hinterlassen. Die lästigen Insekten mögen vielleicht aber dafür Sorge tragen, dass die auf der Nordseite Guanajas liegenden, kilometerlangen weißen Sandstrände noch so unberührt sind.
Die Versorgung mit Lebensmitteln ist in der Stadt fantastisch. Man bekommt alles, was das Herz begehrt. Auf der Insel hingegen ist das Angebot- nun ja- nicht mehr als ausreichend und sicher verbesserungswürdig. Es wäre ein leichtes, eine lange Liste von Produkten, die ich vermisse, aufzustellen. Als Liebhaber von Käse befriedigt mich der cheddar und die äußerst geschmacksneutrale honduranische Antwort auf Mozzarella nicht. Andere Käsesorten gibt es nicht. Das Versorgungsschiff bringt einmal pro Woche Lebensmittel vom Festland, darunter auch Gemüse und Obst. Es empfiehlt sich, nach dessen Ankunft zum Einkaufen zu eilen, da die Frischwaren innerhalb weniger Stunden ausverkauft sind. Schafft man es an dem "Gemüsetag" nicht aufs "cay"(so der Name des Hauptdorfes), so isst man eine Woche lang Kartoffeln, Zwiebeln, Weißkohl oder/und Tomaten. Das fördert die Kreativität beim Kochen und Erfinden neuer Rezepte.
Joghurt ist nicht erhältlich, den machen wir selber. Kuchen - die nächste Bäckerei liegt irgendwo außerhalb der Landesgrenzen, also backen wir selber. Auch das Brot, da das Bimbo-Brot, wie der Name schon vermuten lässt, keine kulinarische Bereicherung ist und vielleicht zahnlosen Menschen Freude bereiten wird. Wir verbringen also viel mehr Zeit in der Küche als wir es in Deutschland tun.
Wer gern mal ein Stück Fleisch auf seinem Teller sieht, hat es hier ganz schwer. Es gibt Schweinefleisch, und wenn es auf der Insel gemästet wurde, ist es recht ordentlich. Die Hühner schmecken eigentlich nicht schlecht und ich versuche nicht darüber nachzudenken, wie sie aufgezogen worden sind. Der Kauf von Rindfleisch hingegen ist eine höchst komplizierte Angelegenheit. Es ist stets zäh, nein, superzäh. Offenbar hängt man das Fleisch hier nicht ab. Es empfiehlt sich die Zubereitung im Schnellkochtopf. Oftmals ist es auch schwierig, das Stück Fleisch zu identifizieren - ist es Steak, Schulter, Filet etc. Vor einiger Zeit öffnete ich in einem kleinen Lebensmittelgeschäft die große Gefriertruhe und fand dort eingefrorene Rindfleischstücke. Es waren Platten von ca. 5 cm Dicke und sie waren riesig groß. Man hatte die Kuh offenbar halbiert, eingefroren und danach mit einem Elektroschneider quer in 5 cm dünne Streifen geschnitten.
Vor dem gleichen Problem steht man allerdings auch, wenn auf dem cay ein Schwein verkauft wird. Mit der Machete wird es kreuz und quer in Pfundstücke gehackt, ohne Rücksicht auf anatomische Gegebenheiten. Tja.
Wer allerdings Fisch und Meeresfrüchte liebt, der wird glücklich. Fisch gibt es fast immer frisch zu kaufen, da kann auch der beste und teuerste Fischladen in Deutschland nicht mithalten. Man muß hier allerdings den ein oder anderen Fischer kennen. Da die Insel vom Shrimp-und Langustenfang lebt, sind auch diese stets erhältlich und von ausgesprochen guter Qualität.
Die tropischen Früchte schmecken hier besser als in Deutschland, da sie hier nicht unreif geerntet werden. Außerdem erfreuen wir uns mittlerweile an selbst angebauten Früchten wie beispielsweise Ananas, Mangos, Papaya, Bananen, Limonen und Orangen.
Die Auswahl an Restaurants ist -nicht nur im Vergleich zur großen Stadt- ebenfalls bescheiden. In unserer Nachbarschaft gibt es deftige und gute schwäbische Gerichte - ich möchte dabei nicht unerwähnt lassen, dass noch nie so viel Spätzle wie hier genossen habe. Die einheimische "island"-Küche bietet fritiertes Huhn oder Schweinefleisch, fritierte Kochbananen, Fisch, Shrimps und Conch. Conch ist eine große Meeresschnecke und muß mit viel Aufwand erst einmal platt geklopft werden, damit sie zart wird. Eine Spezialität ist die Conch-Suppe oder das "ceviche", ein Salat mit eingelegten conch. Zur typischen island-Küche gehört auch das sog. "hog-fry". Wird ein Schwein geschlachtet, so wird zunächst die Schwarte fritiert- heraus kommt das "chicharron" - eine knusprige, chipsartige Schweineschwarte. In dem verbleibenden Fett werden die Schweinestücke dann fritiert. Eine fettige, aber schmackhafte Sache.
Vom Essen zur Kultur. Das wird ein ganz kurzer Absatz, denn Kino, Musik, Theater, Literatur - alles nicht existent. Nun, nicht ganz. In unserer Stammbar treffen unregelmäßig einige der hier lebenden Ausländer und der ein oder andere "islander" zusammen, um Musik zu machen. Sind dann noch musikalische Segler oder andere Gäste anwesend, so kommt es zu interessanten "jam sessions".
Das Kulturangebot der großen Stadt hingegen ist eines der Dinge, auf die ich mich jährlich am meisten freue.
Die Hausarbeit, -instandhaltung und -reparatur ist ein zeitaufwändiges Unterfangen. Geht in der zivilisierten Welt im Haushalt etwas zu Bruch, funktioniert das Auto nicht - nun der nächste Handwerker oder Baumarkt sind nicht weit. Anders auf Guanaja - hier fängt man erst einmal selber an: Fehlersuche und Reparatur. Wird ein Ersatzteil benötigt, so kann man sicher sein, dass man es auf der Insel nicht findet. Dann braucht man Freunde, die für einen am Festland durch die Eisenwarenhandlungen danach fahnden oder man muß es im Ausland bestellen und herschicken lassen. Das ist kompliziert und dauert mindestens zwei Wochen.
Ein ganz heikles Thema ist die medizinische Versorgung. Auf dem cay gibt es das "centro salud", in dem fast immer ein Allgemeinmediziner zugegen ist. Die Ausrüstung bewegt sich auf dem Niveau eines "Erst-Hilfe-Kastens". Bei einem Notfall kann man nur hoffen, dass er zeitlich günstig liegt, dh. ca. eine Stunde vor Abflug eines Flugzeugs in Richtung Festland. Ansonsten hat man schlicht Pech gehabt.
Einer der größten Unterschiede zwischen Stadt-und Inselleben ist sicherlich unser Verhältnis zur Natur. In der Stadt weiss ich oftmals nicht, welche Mondphase wir gerade haben. Der Sternenhimmel ist kaum sichtbar angesichts der Lichtverschmutzung in der Stadt. Es ist dort nie wirklich dunkel. Die Natur hat in der Regel keinen Einfluß auf unsere Pläne. Regen und Wind halten einen nicht davon ab, mit dem Auto zu fahren.
Auf Guanaja fahren wir beispielsweise nicht auf die Nordseite zum Baden, wenn der Wind eben aus der Richtung bläst. Wir fahren nachts nur mit dem Boot, wenn der Mond die Umgebung ausreichend beleuchtet. Bei Neumond bleiben wir abends definitiv zuhause.
Außerdem sind wir eigentlich immer draußen, auch wenn wir im Haus sind. Die Häuser haben keine Glasfenster, sondern lediglich Holzlamellen, durch die stets der Wind durchziehen kann. Man hat nie das Gefühl, in einem geschlossenen Raum zu sein. Zurück in Berlin ist es eine der größten Umstellungen - das Leben drinnen - als schlösse man die Natur aus. Das löst zunächst klaustrophobische Gefühle aus, aber nur für kurze Zeit. Dann liebe ich auch wieder die Stadtluft, stürze mich auf das kulturelle Angebot, kaufe all die Dinge ein, die ich sechs Monate nicht haben konnte und vermisse alsbald die klare, tropisch warme Luft und das Meer.
Wie sagte Tucholsky schon vor mehr als 100 Jahren?
"Ja, das möchste:
Eine Villa im Grünen mit großer Terrasse, vorn die Ostsee, hinten die Friedrichstraße;
mit schöner Aussicht, ländlich-mondän,
vom Badezimmer ist die Zugspitze zu sehn -
aber abends zum Kino hast dus nicht weit.
Das Ganze schlicht, voller Bescheidenheit(...)"